24.06.2016 15:05
Anzeige

EU-Referendum im Vereinigten Königreich.


Das Vereinigte Königreich sagt „No“ zur Europäischen Union.

Um 8 Uhr morgens am 24. Juni stand es fest, was sich in den Auszählungsergebnissen der Nacht und zeitweise in den Umfragen der vergangenen Wochen abgezeichnet hatte. Das Vereinigte Königreich (United Kingdom, UK) hat in der Volksabstimmung über die Mitgliedschaft in der Europäischen Union (EU) mit einer knappen Mehrheit für den Austritt gestimmt (vorläufig 51,9 %). Obwohl die innenpolitische Lage nach dem zu erwartenden Rücktritt des Premierministers David Cameron instabiler werden dürfte (bis hin zur Möglichkeit einer Neuwahl), gehen wir davon aus, dass das Votum des Volkes innerhalb der nächsten Jahre umgesetzt wird. Damit erteilt zum ersten Mal ein Land Europas dem seit mehr als sechs Jahrzehnten verfolgten politischen Integrationsprozesseine Absage. Das ist ein politisches Beben, das die Größenordnung des Falls des Eisernen Vorhangs vor rund 30 Jahren erreichen könnte, nur mit umgekehrtem Vorzeichen. Denn mit dem Brexit-Votum verbinden sich weniger Hoffnungen für Europa als damals beim Aufbruch der mittel- und osteuropäischen Länder in eine neue Zukunft. Politisch beginnt nun sowohl für die EU als auch für UK ein neues Kapitel ihrer Geschichte, von dem niemand weiß, wo es Europa hinführen wird. In der Wirtschaft muss und wird es aber weitergehen. Unternehmen und Finanzmärkte werden als erste drangehen, die Nach-Brexit-Welt zu gestalten.

Wirtschaftliche Folgen: Schwierig insbesondere für UK – neue Geschäftsmodelle gesucht.

Nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich bedeutet die Abspaltung des Vereinigten Königreichs von der EU eine Zäsur. Vor beiden Seiten liegt ein mühseliger und mit kurz- und langfristigen Kosten verbundener rechtlicher und geschäftlicher Neugestaltungsprozess, wobei die anfänglichen negativen Folgen in UK stärker als in der Union ausfallen dürften. Im besten Fall sind die wichtigsten Anpassungen auf beiden Seiten nach einigen Jahren abgeschlossen. Weder werden die beiden Wirtschaftsräume nach dem Austritt in Armut versinken, noch ist diesseits oder jenseits des Ärmelkanals aufgrund der Trennung mit neu aufblühenden Landschaften zu rechnen. Wir rechnen kurzfristig für die zweite Jahreshälfte 2016 mit einer Rezession in UK, weil die Unternehmen sich aufgrund der zu erwartenden Unsicherheit mit Investitionen zurückhalten werden, bis mehr Klarheit über die künftig möglichen oder eben nicht mehr möglichen Geschäftsmodelle besteht. Das gilt auch für den Finanzplatz London, wo die Finanzdienstleister Zeit benötigen werden, bis die nach Frankfurt, Paris oder Dublin abgewanderten Aktivitäten durch neue Geschäftsfelder ersetzt worden sind.

Die Konjunktur, die Unternehmen und die Immobilienmärkte in UK werden einer mehrjährigen Belastungsprobe unterzogen. Im Jahr 2016 bleibt trotzdem für UK noch ein Wachstum von 1,1 % (bisher: 1,7 %) übrig, in 2017 dürften es noch 1 % (bisher: 2,1 %) sein. Ähnliche Effekte gibt es auch innerhalb der Europäischen Union. Da diese wirtschaftlich gesehen aber fünfmal größer ist als UK und ökonomisch weniger von UK abhängig ist als umgekehrt, fallen sie insgesamt nicht so stark ins Gewicht. Wir rechnen lediglich mit einer Konjunkturdelle in Euroland (2016: 1,5 %, bisher: 1,7 %; 2017: 1,1 %, bisher 1,6 %). Auf gesamtwirtschaftlicher Ebene muten die Effekte moderat an. Das darf allerdings nicht verdecken, dass sie für einzelne Branchen oder gar auf Unternehmensebene heftig bis extrem sein können, je nach Abhängigkeit von der Handelsverflechtung mit UK. Bei Risiken, die sich im Finanzsystem ergeben oder die etwa aus dem hohen laufenden Finanzbedarf der britischen Wirtschaft resultieren (UK hat eines der höchsten Leistungsbilanzdefizite in der Welt), erwarten wir, dass sie durch Regierungen, Finanzministerien und Notenbanken in den kommenden Tagen abgefedert werden können. Somit resultieren aus dem Austritt große wirtschaftliche Anpassungsaufgaben, die teilweise jahrelang Zeit benötigen, die aber eine weiter funktionierende Wirtschaft und am Ende auch Chancen für die wirtschaftliche Aktivitäten hervorbringen werden.

Wir werden in den kommenden Wochen in weiteren Publikationen auf einzelne wirtschaftliche Folgewirkungen eingehen. Denn zwischenzeitlich werden Unsicherheiten auf Unternehmen und Märkten lasten, insbesondere im politischen Bereich. Die Finanzmärkte werden sich nach dem anfänglichen Schock der Verunsicherung bemühen, durch die zu erwartenden Effekte „hindurchzuschauen“: Laufen die nächsten Jahre nach dem hier skizzierten Drehbuch und kommen keine weiteren politischen Überraschungen hinzu, werden sich einige Marktreaktionen der kommenden Tage als Übertreibungen herausstellen.

Brexit bedeutet Einschnitt innerhalb der europäischen Politik.

Die eigentliche Bedeutung des Brexit liegt im Politischen. Ohne eindeutige ökonomische Argumente für den Verbleib oder den Austritt aus der Europäischen Union bleibt als Motivation für die Brexit-Initiatoren und letztlich die Brexit-Wähler der Wunsch nach vollständiger politischer Selbstbestimmung, was sich für viele Wähler insbesondere an der Frage der Einwanderung festgemacht hat. Ganz wichtig für die Finanzmärkte wird es nun sein, neben den wirtschaftlichen auch die politischen Folgewirkungen dieser Entscheidung zu beobachten. Viele Themen, die in UK die Wahlentscheidung beeinflusst haben, treiben auch die Menschen in ganz Europa um. Unsere Erwartung ist, dass die europäischen Politiker einen Reformprozess der EU einleiten werden, um die Bürger besser einzubeziehen. Trotzdem werden gerade in den kommenden Jahren die Diskussionen über den „britischen Weg“ auch in anderen Mitgliedstaaten der EU eine große Rolle spielen. In welche Richtung die EU sich bewegt, ist heute noch nicht zu sagen. Verstärkte politische Unsicherheit wird die Konjunktur in Euroland jedoch solange nicht entscheidend beeinflussen, wie nicht eindeutige Nachahmerreaktionen zu erwarten sind. Dies ist jedoch keine Frage von Monaten, sondern eher von Jahren.

Was sollten Anleger jetzt beachten?

Die Finanzmärkte werden den Brexit nun über einen gewissen Zeitraum voll einpreisen. Dazu gehören fallende Aktienkurse, sinkende Zinsen und abbröckelnde Wechselkurse (der Euro und vor allem das Pfund gegenüber dem US-Dollar). Angesichts der Erwartung, dass die Wirtschaft sich neu finden muss, dass aber die Konjunkturreaktionen zeitlich begrenzt sein werden, sollte sich zumindest ein Teil der Marktreaktionen in den kommenden Wochen wieder zurückbilden.


Disclaimer: Diese Darstellungen inklusive Einschätzungen wurden von der DekaBank nur zum Zwecke der Information des jeweiligen Empfängers erstellt. Die Informationen stellen weder ein Angebot, eine Einladung zur Zeichnung oder zum Erwerb von Finanzinstrumenten noch eine Empfehlung zum Erwerb dar. Die Informationen oder Dokumente sind nicht als Grundlage für irgendeine vertragliche oder anderweitige Verpflichtung gedacht, noch ersetzen sie eine (Rechts- und / oder Steuer-)Beratung; auch die Übersendung dieser stellt keine derartige beschriebene Beratung dar. Alle Angaben wurden sorgfältig recherchiert und zusammengestellt. Die hier abgegebenen Einschätzungen wurden nach bestem Wissen und Gewissen getroffen und stammen oder beruhen (teilweise) aus bzw. auf von als vertrauenswürdig erachteten aber von uns nicht überprüfbaren, allgemein zugänglichen Quellen. Eine Haftung für die Vollständigkeit, Aktualität und Richtigkeit der gemachten Angaben und Einschätzungen, einschließlich der rechtlichen Ausführungen, ist ausgeschlossen. Die enthaltenen Meinungsaussagen geben die aktuellen Einschätzungen der DekaBank zum Zeitpunkt der Erstellung wieder, die sich jederzeit ohne vorherige Ankündigung ändern können. Jeder Empfänger sollte eine eigene unabhängige Beurteilung, eine eigene Einschätzung und Entscheidung vornehmen. Insbesondere wird jeder Empfänger aufgefordert, eine unabhängige Prüfung vorzunehmen und/oder sich unabhängig fachlich beraten zu lassen und seine eigenen Schlussfolgerungen im Hinblick auf wirtschaftliche Vorteile und Risiken unter Berücksichtigung der rechtlichen, regulatorischen, finanziellen, steuerlichen und bilanziellen Aspekte zu ziehen. Sollten Kurse/Preise genannt sein, sind diese freibleibend und dienen nicht als Indikation handelbarer Kurse/Preise. Die frühere Wertentwicklung ist kein verlässlicher Indikator für die künftige Wertentwicklung.

Diese Information inklusive Einschätzungen dürfen weder in Auszügen noch als Ganzes ohne schriftliche Genehmigung durch die DekaBank vervielfältigt oder an andere Personen weitergegeben werden.

DekaBank Deutsche Girozentrale
Mainzer Landstraße 16
60325 Frankfurt

Quelle

Die DekaBank ist das Wertpapierhaus der Sparkassen-Finanzgruppe. Als zentraler Dienstleister bündelt sie Kompetenzen in Asset Management und Bankgeschäft - als Vermögensverwalter, Finanzierer, Emittent, Strukturierer und Depotbank.

Weitere Nachrichten
Deka-Gruppe
13.05.2024 09:03
Autor: Charlotte Neugebauer Werbung. Selten sind die Urteile der Analysten für eine Aktie so klar wie für Infineon: eine große Mehrheit bewertet die Aussichten des Chipkonzerns positiv. Ein klei ...
06.05.2024 11:46
Autor: Charlotte Neugebauer Werbung. Letzten Montag verblüffte Philips die Investoren. Diese hatten mit der Veröffentlichung der Quartalsergebnisse gerechnet, doch die Niederländer warteten mit ...
29.04.2024 09:51
Autor: Charlotte Neugebauer Werbung. Neulich fuhr neben mir ein VW-Käfer auf der Autobahn. Da schlägt mein Herz gleich ein bisschen schneller. Ich finde ja, der Käfer ist und bleibt ein wirklich ...