22.11.2017 15:00

Schnell und fokussiert: Wo Index-Zertifikate auch im ETF-Zeitalter lohnen

Wer sich den DAX, den MSCI World oder einen anderen großen Aktien-Index ins Portfolio legen will, kommt an ETFs nicht vorbei. Bei innovativen Investment-Themen wie Internet, Robotik oder zuletzt Bitcoin ist die ETF-Industrie jedoch etwas schwerfällig. Hier eröffnen Index-Zertifikate den schnelleren und fokussierteren Zugang – und für viele Nischen sind sie sogar das einzige Vehikel, um mit einem einzigen Wertpapier breit gestreut zu investieren. Aber Vorsicht: Nicht jede Mode ist ein neuer Megatrend!

An diesem Donnerstag werden in der Berliner Bertelsmann-Niederlassung wieder die ZertifikateAwards verliehen – sozusagen die „Oscars“ für jene Finanzprodukte, die vor gut zehn Jahren ähnlich angesagt und alternativlos waren wie heutzutage Exchange Traded Funds (ETFs).

Zertifikate: Boom, Crash, Alltag

Mit dem Lehman-Debakel 2008 fand die Herrlichkeit indes ein jähes Ende. Zwar hatte die US-Pleitebank hierzulande nie nennenswerte Marktanteile erobern können. Aber weil ausgerechnet einige Sparkassen ahnungslosen Omis noch kurz vor der Krise provisionsträchtige Lehman-Papiere ins Depot gedrückt hatten, wurden Zertifikate über Nacht zum Synonym für alles Elend der Finanzwelt.

Inzwischen hat sich die Branche berappelt. Denn Aktienanleihen oder Express-Zertifikate, die leidlich attraktive Kupon-Chancen mit einem mehr oder weniger komfortablen Risikopuffer verbinden, treffen durchaus den Nerv vieler Anleger und Berater. Und auch die guten alten Partizipations-Zertifikate, die ganz ohne derivatives Klimbim einfach „eins-zu-eins“ die Wertentwicklung eines (Aktien-)Index verbriefen, sind irgendwie nicht totzukriegen.

ETFs bei großen Indices unschlagbar

Zugegeben, wer sich den DAX, den S&P 500, den MSCI World oder einen anderen großen Index ins Portfolio packen will, greift selbstredend zum ETF. Der ist mit Null-komma-fast-nix genauso günstig und als Sondervermögen obendrein insolvenzfest – während Zertifikate rein rechtlich bloß Anleihen sind. Und egal, was drin ist im Index: Macht die Bank die Grätsche, ist das Geld weg.

Die Krux mit der Steuer

Hinzu kommt ein steuerlicher Nachteil. Zertifikate beziehen sich inzwischen regelmäßig auf so genannte Net Total Return-Indices. Will heißen: Angerechnet werden nur die um Quellensteuern ermäßigten Netto-Ausschüttungen. Trotzdem zielt der Fiskus beim Verkauf des Zertifikats auf den kompletten Kursgewinn ab, obwohl darin ja auch die bereits versteuerten Dividenden enthalten sind.

Investiert man direkt oder über Fonds in Aktien, lässt sich diese Doppelbesteuerung zumindest teilweise vermeiden oder nachträglich heilen. Durch das neue Investmentsteuergesetz, das Anfang 2018 in Kraft tritt, holen Zertifikate indes wieder auf. Denn während Fonds dann auch während der Haltedauer mit einer Vorabpauschale besteuert werden, greift der Fiskus bei Zertifikaten weiterhin erst am Ende zu – was den Zinseszinseffekt begünstigt.

Erfolgsfaktoren Innovation, Schnelligkeit und Fokus

Dass Index-Zertifikate auch im ETF-Zeitalter eine Berechtigung haben, liegt allerdings nicht an steuerlichen Finessen. Viel wichtiger sind Faktoren wie Innovation, Schnelligkeit und Fokus. ETFs sind bis ins kleinste Detail durchreguliert und machen den meisten Anbietern erst ab einem Volumen im oberen zweistelligen Millionenbereich wirklich Spaß. Zertifikate brauchen zwar ebenfalls das Placet der Finanzaufsicht BaFin. Aber sie sind einfacher strukturiert und rechnen sich deshalb für die Bank auch schon bei kleineren Beträgen – so dass sie aussichtsreiche Anlagetrends früher aufgreifen und für Kleinanleger investierbar machen können.

Legendäres WWWertpapier von ABN Amro

Paradebeispiel dafür ist der Megatrend Internet, für den die Datenbank des Extra Magazins bis heute keinen einzigen (!) in Deutschland zugelassenen ETF ausspuckt. Das erste Zertifikat auf den Dow Jones Internet Commercewurde dagegen schon am 12. Dezember 2001 aufgelegt – vom ebenso visionären wie legendären Zertifikate-Team der ABN Amro Bank.

Inzwischen steht die französische Großbank BNP Paribas hinter dem Papier, das die Kursentwicklung von Amazon, Alphabet, Facebook, Netflix, Paypal und zehn anderen Web-Größen abbildet. Die Wertpapier-Kennnummer (WKN 687485) ist derweil immer noch dieselbe wie vor über eineinhalb Jahrzehnten, als das Zertifikat zu 58,30 Euro an die Börse kam. Heute wird der Geldkurs mit über 800 Euro quotiert, was nahezu einer Vervierzehnfachung entspricht.

Dow-Jones-Internet-Commerce-ZertifikatEinziger Wermutstropfen: Wegen einiger Querelen mit den US-Steuerbehörden werden momentan nur Rücknahmepreise gestellt. Kaufen kann man das Zertifikat bis auf weiteres nicht. Einige Segmente des Internet-Sektors sind allerdings weiterhin handelbar. Der Solactive Social Media Titans Index (Vontobel, WKN VZ6ASM) bündelt zehn soziale Netzwerke, im Solactive China Internet Index (Deutsche Bank, WKN DB2CNT) ist ein knappes Dutzend fernöstlicher Online-Riesen wie Alibaba, Tencent, Baido und YY enthalten – während der Solactive Digital Marketplaces Index(Vontobel, WKN VN19ER) zu seinen 20 elektronischen Marktplätzen auch die Deutsche Börse AG zählt.

Schneller und besser als der ETF

Mindestens genauso verheißungsvoll wie das World Wide Web, für den Laien aber noch schwieriger zu durchschauen, ist das Thema Robotik. Wer sich – wie der Autor dieser Zeilen – nicht zutraut, aussichtsreiche Einzelaktien zu identifizieren, tendiert gern zu praktischen Paketlösungen à la ROBO. Der Global Robotics and Automation ETF (WKN A12GJD) setzt sich zusammen aus 84 Aktien und kommt seit Auflegung im Januar 2015 auf ein Plus von knapp 70%.

UBS-Robotics-Drones-Zertifikat-vs.-Global-Robotics-and-Automation-ETF-ab-01-2014Nicht schlecht, doch mit einem Index-Zertifikat konnten Anleger wesentlich früher dabei sein – als sozusagen noch mehr Fleisch am Knochen war. Bereits ein Jahr zuvor hat die UBS ein Zertifikat auf den Solactive Robotics & Drones Index lanciert, der nur 14 Aktien umfasst (WKN UBS0RD). Ob man das nun schlechtere Streuung oder konsequente Fokussierung nennt, ist eine Frage der Perspektive. Unstrittig hingegen: Das konzentrierte Zertifikat hat sich deutlich besser entwickelt als der (über-?)diversifizierte ETF.

Innovationstreiber Zertifikat

Die Liste der Investment-Themen, die durch Zertifikate schneller zugänglich waren als durch ETFs oder für die Zertifikate bis heute das einzige Vehikel sind, lässt sich noch lange fortsetzen:

  • Als der inzwischen von mehreren ETFs abgebildete DivDAX 2005 lanciert wurde, hatten Zertifikate längst den Weg für systematische Dividendenstrategien bereitet: Schon in den 1990er Jahren gab es von Merrill Lynch ein Papier, das regelmäßig mit den zwölf renditestärksten DAX-Unternehmen bestückt wurde.
  • Der beliebte WOWAX World Water Index der Société Générale war schon eineinhalb Jahre als Zertifikat (WKN SG1WWX) am Markt, bevor im Oktober der entsprechende ETF (WKN LYX0CA) startete.
  • Zu den von Thomas Rappold, dem Biographen der Silicon Valley-Legende Peter Thiel, für Vontobel konzipierten Indizes zu Hightech-Trends wie Industrie 4.0 (WKN VS8Y40) oder Künstliche Intelligenz (WKN VL3SJB) gibt es bislang keine ETF-Alternative.
  • Und ja, auch beim wohl heißesten Anlage- oder Spekulationsobjekt unserer Zeit eröffnen Zertifikate den Zugang. Man muss Bitcoin nicht mögen und ob wir gerade den Anfang vom Ende unseres Geldsystems oder nur eine digitale Tulpenzwiebel-Hysterie erleben, wissen wir erst in ein paar Jahren. Aber wer keine Luft auf Blockchain und E-Wallet hat, sondern aus welchen Gründen auch immer bloß am Preis der Kryptowährung partizipieren will, kann genau das tun – und zwar schon seit dem 21. November 2016, als Vontobel den ersten Bitcoin-Trackerauf den Markt gebracht hat (WKN VN5MJG). Performance seit Emission: Knapp 1.000%!

Nur ein paar Beispiele, die beweisen: Das Partizipations-Zertifikat ist nach wie vor quicklebendig und die Zertifikate-Emittenten sind noch immer ein Innovationsmotor für die Finanzindustrie.

Braucht man Themen-Investments überhaupt?

Gleichwohl lässt sich trefflich darüber streiten, ob es solche zugespitzten Themen-Investments überhaupt braucht, wenn man bereits über ein diversifiziertes (Dividenden-)Portfolio verfügt – oder ob die wenigen echten Megatrends dadurch nicht schon implizit abgedeckt sind.

Letztendlich ist das wohl eine Frage des persönlichen Geschmacks. Manche Anleger wollen ihr Vermögen mit möglichst geringem Aufwand möglichst effizient verwalten. Andere wollen bestimmte Schwerpunkte setzen oder bei bestimmten Themen, für die sie sich irgendwie interessieren, auch finanziell „skin in the game“ haben – und die sollten, wenn’s um innovative Investment-Ideen geht, neben Einzelaktien und Fonds/ETFs auch Index-Zertifikate im Auge behalten.

Augen auf beim Zertifikate-Kauf

Wichtig bloß, dass das Auge sich nicht blenden lässt von den wolkigen Stories mancher Banken. Denn gerne werden Moden als Megatrends verkauft und trotz vieler Fortschritte bei Produktwahrheit und Produktklarheit erbricht die Industrie bisweilen Papiere wie das aktuell zur Zeichnung aufliegende „European Construction Boom Zertifikat“.

Für einen Ausgabeaufschlag von 1,5% und einer Managementgebühr von 1,5% p.a. bekommt man ein Konvolut kontinentaleuropäischer Baufirmen von ACS bis Zardoya serviert. Und ganz abgesehen davon, ob dies der optimale Zeitpunkt ist, um in diesen Sektor zu investieren: Acht Aktien, die zusammen knapp zwei Drittel des Boom-Zertifikats ausmachen, sind auch im EURO STOXX Construction & Materials Index enthalten – und den gibt’s als Zertifikat der HypoVereinsbank ganz ohne laufende Kosten.

In eigener Sache: Als Gründer und Herausgeber der Fachpublikation „ZertifikateJournal“ war ich 2001-07 am Zertifikate-Boom nicht ganz unbeteiligt. Die ZertifikateAwards, die ich seinerzeit gemeinsam mit Ralf Andreß etabliert habe, verfolge ich seit 2011 zwar nur noch aus dem Publikum – was der Freude über das Wiedersehen mit vielen Weggefährten aber keinen Abbruch tut.

Christian W. Röhl ist Unternehmer und Kapitalmarkt-Stratege – vor allem aber Investor, der sein eigenes Vermögen verwaltet. Einblicke in seinen Investment-Alltag gibt der Autor des manager magazin-Bestsellers „Cool bleiben und Dividenden kassieren“ in Vorträgen und Seminaren sowie auf seinem Blog DividendenAdel und bei Twitter (@CWRoehl).

Sämtliche Inhalte nach bestem Wissen und Gewissen, aber ohne Gewähr für Aktualität, Richtigkeit, Vollständigkeit und Genauigkeit. Die Kolumne dient nur der Information und stellt keine Aufforderung zum Kauf oder Verkauf der erwähnten Wertpapiere dar. Der Autor haftet nicht für materielle und/oder immaterielle Schäden, die durch die Nutzung oder Nichtnutzung der Inhalte oder durch die Nutzung fehlerhafter und unvollständiger Inhalte verursacht wurden.

Christian W. Röhl ist Unternehmer, Kapitalmarkt-Stratege – und Investor, der sein eigenes Vermögen verwaltet. Einblicke in seinen Investment-Alltag gibt der Autor des manager magazin-Bestsellers "Cool bleiben und Dividenden kassieren" auf seinem Blog DividendenAdel sowie in Vorträgen und Workshops.

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Christian W. Röhl
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