04.12.2017 09:00

Bitcoin, Blockchain, Boom und Blase: Es war einmal das Internet…

Bitcoin diese Woche erstmals über $10.000. Für viele Krypto-Jünger bloß eine Durchgangsstation auf dem Weg in sechsstellige Regionen. Kritische Geister wittern derweil die schlimmste Blase seit dem New Economy-Hype. Ja, und? Selbst wer 1999 zu Höchstkursen in Internet-Aktien eingestiegen ist, hat sein Kapital bis heute fast verdreifacht. Ein Blick in den Rückspiegel als Plädoyer für mehr Gelassenheit im Umgang mit Boom-Themen.

Bitcoin diese Woche erstmals über $10.000. Für viele Krypto-Jünger bloß eine Durchgangsstation auf dem Weg in sechsstellige Regionen. Etablierte Medien, Banken und Wissenschaftler wie zuletzt Nobelpreisträger Joseph Stiglitz heben derweil warnend den Zeigefinger und wittern die schlimmste Blase seit dem Internet-Hype zur Jahrtausendwende.

Opa erzählt vom Hype

Ja, und? Kleine Zeitreise zurück ins Jahr 1999. Der heutige DividendenAdel-Blogger war gerade im zarten Alter von 22 zum Prokuristen einer Frankfurter Wertpapierbank befördert worden, als am 13. April der Dow Jones Internet Commerce Index mal wieder ein neues Allzeithoch markierte. Beim Stand von 347,80 Punkten hatte sich das Aktien-Barometer für die .com-Wirtschaft in weniger als zwei Jahren mehr als verfünfzehnfacht.

Internet-Aktien in zwei Jahren verfünfzehnfacht

Auf Parties ging’s mehr um Moneten als um Mädels und wer am Börsenplatz ins Taxi einstieg, wurde vom Fahrer nach heißen Tipps gelöchert. Jetzt noch einsteigen? Vielleicht bei dieser Online-Buchhandlung? Amazonas oder wie der Laden heißt?

Na klar. Solange immer jemand da ist, der für das, was man loswerden möchte, mehr hinblättert als man selbst bezahlt hat, läuft die Sache. Doch irgendwann gibt’s keinen Nachschub an gierigem Geld mehr – und dann geht’s ungebremst in die andere Richtung.

DJ Internet Commerce 1997 2002 New Economy HypeSchon im August 1999 war der DJ Internet Commerce zeitweise auf unter 160 Punkte abgesackt. Über 50% Minus, gerade einmal vier Monate nach dem historischen Rekord. Es folgte eine kurze Erholung, bevor der Index zu einer Schussfahrt ansetzte, die erst im Sommer 2002 ein Ende fand – bei 29,20 Zählern, mehr als 90% unter dem drei Jahre alten Hoch.

Im Rückspiegel schrumpft die Blase

Eine brutale Pleite für alle, die auf dem Höhepunkt der Blase „all in“ gespielt und auf dem Tiefpunkt der Depression die Nerven verloren hatten. Doch das ist eben nur die halbe Wahrheit. Denn während die meisten Online-Buden der ersten Generation in sich zusammengefallen sind, hat das Internet unser alltägliches Leben revolutioniert – angetrieben sowohl von den Überlebenden der New Economy wie Amazon als auch von neuen Giganten wie Facebook, die damals noch nicht einmal gegründet waren.

DJ Internet Commerce seit 1997Und so schrumpft die vermeintlich epochale Blase in der Rückschau selbst im logarithmischen Maßstab auf Kinderkrankheiten-Niveau. Der DJ Internet Commerce steht heute bei gut 950 Punkten. Selbst wer 1999 zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt eingestiegen ist und bloß geduldig gewartet hat, sitzt nun (gerechnet in US-Dollar) auf 175% Gewinn. Das entspricht einer durchschnittlichen Rendite von 5,6% p.a. – ganz okay dafür, dass wir ja hier wohlgemerkt über den Worst Case sprechen.

Bitcoin: Amazon, Yahoo oder Worldcom?

Mit etwas mehr Glück oder zumindest weniger Pech beim Timing – wenn man also schon 1996 oder erst 2002 eingestiegen ist – war natürlich deutlich mehr drin. Genauso mit einem guten Näschen für die richtigen Aktien. Hätte man bloß schon Ende 1999 geahnt, was Jeff Bezos für ein Teufelskerl ist! Damals kostete eine Amazon-Aktie aberwitzige 113 US-Dollar. 80-mal mehr als zwei Jahre zuvor, aber eben nur rund ein Zehntel des heutigen Preises…

Amazon LogarithmischUnd vielleicht ist Bitcoin ja die Amazon der Kryptowährungen und legt in den nächsten zehn Jahren eine ähnliche Performance aufs digitale Parkett. Genauso gut könnte Bitcoin das Schicksal von Yahoo ereilen – anfangs der Standard unter den Suchmaschinen, später dann vom Newcomer Google in die Nostalgie-Ecke gedrängt. Oder es tut einen großen Schlag und infolge staatlicher Eingriffe, konzertierter Hacker-Attacken oder technologischer Unzulänglichkeiten geht Bitcoin genauso krachend unter wie 2002 die Betrugsfirma WorldCom.

Es fühlt sich an wie 1999

Für alle Szenarien lassen sich gute Argumente finden. Fakt ist aber: Niemand weiß, was passieren wird. Selbst die klügsten Köpfe der Krypto-Szene können maximal den Fortschritt der nächsten zwei bis drei Jahre halbwegs antizipieren – während wir Normalsterbliche froh sein können, wenn es uns gelingt, die übergeordneten Trends halbwegs im Blick zu halten.

Das fühlt sich in der Tat an wie 1999. Keiner hatte wirklich eine Ahnung, wohin dieses Internet sich entwickeln würde – aber es schien irgendwie cool zu sein.

ICOs lassen selbst die dreckigsten IPOs gut aussehen

Manche Investoren waren risikobereit und technikaffin, haben ebenso früh wie gezielt auf bestimmte Geschäftsmodelle gesetzt und sind – wenn nicht nur mit Spielgeld gewettet wurde – entweder steinreich oder bettelarm geworden. Das sind heute diejenigen, die Bitcoins kaufen. Oder Ethereum. Oder Iota. Oder eine von den anderen 1.000 Kryptowährungen, gegen deren Emission (ICO oder Initial Coin Offering genannt) selbst die dreckigsten Freiverkehrs-Börsengänge der 1990er Jahre höchst transparent aussehen.

Digitale Schaufeln und Hacken

Andere haben das Thema „über Bande“ gespielt. So wie einst am River Klondike diejenigen, die lieber Hacken und Schaufeln verkauft haben statt selbst nach Gold zu suchen. Beliebt waren Aktien von Netzwerk-Ausrüstern wie Qualcomm und Cisco oder Software-Firmen wie Microsoft und Oracle – die allesamt überlebt haben, teilweise aber erst in den letzten Jahren wieder ihre alten Höchststände übertreffen konnten. Diese Fraktion kauft heute Chip-Aktien wie AMD, die vom (ökologisch ziemlich fragwürdigen) Krypto-Mining profitieren. Oder man setzt gleich auf die Blockchain-Technologie als „next big thing“ , wobei mit IT-Giganten wie IBM oder SAP sogar solide DividendenAdel-Werte auf der Watchlist stehen.

Cool und konsequent bleiben

Die dritte Gruppe war im Hype 1999 genauso entspannt wie im Crash 1990 und hat einfach konsequent ihre Investment-Strategie durchgezogen. Motto: Internet? Flimmernde Schlagzeilen. Digitales Bücherregal. Nackte Mädchen. Aha, ganz nett. Und wenn das ein ernsthaftes Business werden sollte, wird man mit einem nach Branchen breit diversifizierten Portfolio globaler Qualitätsaktien automatisch daran beteiligt sein. Und genauso gelassen kann man auch dem Krypto-Boom begegnen…

Christian W. Röhl ist Unternehmer und Kapitalmarkt-Stratege – vor allem aber Investor, der sein eigenes Vermögen verwaltet. Einblicke in seinen Investment-Alltag gibt der Autor des manager magazin-Bestsellers „Cool bleiben und Dividenden kassieren“ in Vorträgen und Seminaren sowie auf seinem Blog DividendenAdel und bei Twitter (@CWRoehl).

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Christian W. Röhl ist Unternehmer, Kapitalmarkt-Stratege – und Investor, der sein eigenes Vermögen verwaltet. Einblicke in seinen Investment-Alltag gibt der Autor des manager magazin-Bestsellers "Cool bleiben und Dividenden kassieren" auf seinem Blog DividendenAdel sowie in Vorträgen und Workshops.

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