04.12.2018 15:52
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Fokus: Hard-Brexit trotz Abkommen?

Zwar haben sich das Vereinigte Königreich und die EU am 13. November auf einen Austrittsvertrag geeinigt. Damit scheint letztlich noch alles glimpflich abgelaufen zu sein, da auf diese Weise ein ungeordneter Brexit vermieden werden kann. Angesichts zäher und langwieriger Verhandlungen sowie sehr unterschiedlicher Positionen hatte es lange nicht danach ausgesehen, als könnten sich beide Verhandlungsparteien auf eine gemeinsame Linie einigen. Doch statt Klarheit zu schaffen, wird es immer unübersichtlicher. Das Kabinett von Theresa May hatte den vorliegenenden Vorschlag abgenickt, doch im Nachgang sind zwei ihrer Minister und einige Staatssekretäre zurückgetreten. Weitere Rücktritte drohten aus Protest gegen die Austrittsvereinbarung und Theresa May musste sogar mit einem Misstrauensvotum gegen sich rechnen. Bislang ist es aber nicht dazu gekommen. Die EU-Staats- und Regierungschefs haben das Austrittsabkommen auf einem Sondergipfel am 25. November angenommen. Darüber hinaus muss das Abkommen vom Europäischen Parlament (einfache Mehrheit) sowie vom britischen Parlament ratifiziert werden, damit tatsächlich ein geordneter Brexit erfolgen kann. Doch die Zustimmung im britischen Parlament ist mehr als fraglich. Wenn die Vereinbarung dort durchfällt, rückt ein ungeordneter Brexit wieder ins Visier.

Schwierige Verhandlungen

Die EU und das Vereinigte Königreich haben sich auf ein Austrittsabkommen geeinigt. Dass es überhaupt dazu gekommen ist, daran hatte zuletzt keiner mehr so richtig geglaubt. Denn die Verhandlungen zwischen beiden Seiten waren aufgrund sehr unterschiedlicher Positionen äußerst zäh und schwierig verlaufen. Erst mit dem Chequers-Plan hatte sich die britische Regierung unter Premierministerin Theresa May auf eine gemeinsame Linie gegenüber der EU geeinigt – auch wenn diese innerhalb der konservativen Partei umstritten war. Danach sollte Waren der Zugang zum EU-Binnenmarkt erhalten bleiben, es aber keine Freizügigkeit für Dienstleistungen, Personen und Kapital mehr geben (vier Grundfreiheiten des Binnenmarktes). Der Vorschlag wurde von der EU auf dem EU-Gipfel Ende September als „Rosinenpickerei“ zurückgewiesen und das Vereinigte Königreich wurde aufgefordert, neue Vorschläge zu präsentieren. Anfang Oktober verhandelten beide Seiten erneut intensiv miteinander und es wurde kolportiert, dass eine Vereinbarung in Reichweite sei. Letztlich wurden die Verhandlungen aber vor dem nächsten EU-Gipfel am 17./18. Oktober ergebnislos abgebrochen.

Grenze zwischen Nordirland und Irland war Knackpunkt

Als Knackpunkt in den Verhandlungen erwies sich immer mehr der Umgang mit der Grenze zwischen Irland und Nordirland. Wenn das Vereinigte Königreich die EU verlässt, dann würde auf der irischen Insel auf einmal eine harte Grenze verlaufen, denn während Irland weiterhin zur EU gehört, gilt das für Nordirland nicht mehr. Folglich müsste man sich an der Grenze auf Grenzkontrollen einstellen. Das wurde insbesondere von der EU sehr kritisch gesehen, da im Karfreitagsabkommen, das den fragilen Frieden zwischen beiden Landesteilen sichert, keine harte Grenze vorgesehen ist. Daher hatte man sich schon im Entwurf eines im März 2018 vorgelegten Austrittsabkommens zur Vermeidung einer harten Grenze auf einen backstop, also eine Auffanglösung, geeinigt, der eine volle Angleichung Nordirlands mit den Regeln des Binnenmarkts und der Zollunion vorsah. Der backstop sollte nur angewendet werden, falls die Vertragsparteien im Rahmen der Verhandlungen keine anderweitige Lösung finden, die eine harte Grenze vermeidet. Der backstop würde zudem nur so lange gelten, bis ein zu einem späteren Zeitpunkt geschlossenes Abkommen, das eine harte Grenze ausschließt, in Kraft tritt.

Auch beim Abbruch der Verhandlungen kurz vor dem EU-Gipfel im Oktober spielte die Grenze auf der irischen Insel die entscheidende Rolle. Die EU hatte die Aufrechterhaltung des Binnenmarktes zwischen Nordirland und Irland vorgeschlagen. Daneben sollte eine Zollunion mit der EU für das gesamte Königreich gelten. Doch das Vereinigte Königreich lehnte den Vorschlag aus zwei Gründen ab. Zum einen würde damit die harte Grenze nicht auf der irischen Insel, aber in der irischen See, also zwischen Nordirland und dem restlichen Königreich, verlaufen. Damit wäre ein Sonderstatus für Nordirland besiegelt. Zum anderen würde es eine Zollunion unmöglich für das Vereinigte Königreich machen, Handelsabkommen mit Drittstaaten abzuschließen, da man an die Zollpolitik der EU gebunden wäre. Das wurde aber als große Errungenschaft eines Brexit angepriesen. Durch die zunächst gescheiterten Verhandlungen konnten die Staats- und Regierungschefs auf dem EU-Gipfel nicht wie geplant schon über erste Ergebnisse beraten und anschließend entscheiden. Ein für Mitte November avisierter EU-Sondergipfel wurde abgesagt und der gesamte weitere Zeitplan geriet in Gefahr.

Austrittsabkommen steht

Doch hinter geschlossenen Türen wurde weiter verhandelt und am 13. November abends konnte die britische Regierung verkünden, dass ein Austrittsvertrag mit der EU erzielt worden ist. Die Lösung beinhaltet nichts substantiell Neues, außer dass das Vereinigte Königreich sich anscheinend nun auf die Forderungen der EU eingelassen hat. Die einzelnen Punkte der Austrittsvereinbarung im Überblick:

 

  1. Mit der ratifizierten Austrittsvereinbarung kann es einen geordneten Brexit (Soft-Brexit) für das Vereinigte Königreich geben. An den Brexit am 29. März 2019 schließt sich eine Übergangsphase an, die bis Ende 2020 reicht. Die Übergangsphase kann bis Ende 2022 verlängert werden. In der Übergangsphase bleibt das Vereinigte Königreich in einer Zollunion mit der EU verbunden und auch im EU-Binnenmarkt. Das Land muss sich weiterhin an EU-Regeln halten und Mitgliedsbeiträge zahlen, hat aber kein Mitspracherecht mehr in EU-Gremien.
  2. Beim Umgang mit der Grenze zwischen Nordirland und Irland gibt es drei Optionen: a) Die Frage über die genauen zukünftigen Beziehungen nach der Übergangsphase zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU wird gelöst. b) Die Übergangsphase wird verlängert. c) Der backstop (Auffanglösung, um harte Grenze zwischen Nordirland und Irland zu verhindern) greift. Danach bleibt das Vereinigte Königreich in einer Zollunion mit der EU verbunden, Nordirland behält zudem seinen Zugang zum Binnenmarkt. Damit hätte Nordirland einen Sonderstatus.
  3. Für EU-Bürger, die im Vereinigten Königreich leben, und umgekehrt ändert sich nichts. Die bisherigen Regelungen bleiben in Kraft. Das gilt auch für Bürger, die in der Übergangsphase ihren Wohnsitz verlagern.
  4. Das Vereinigte Königreich muss seinen bisher aufgelaufenen Finanzverpflichtungen nachkommen. Diese belaufen sich zwischen 40 und 45 Mrd. Euro.
  5. Zu den künftigen Beziehungen, d.h. nach der Übergangsphase, gibt es nur einige Eckpunkte. Diese müssen in der Übergangsphase konkretisiert werden. Es soll eine Freihandelszone für Waren geschaffen werden, ohne Zölle, Abgaben, Gebühren oder mengenmäßige Beschränkungen. Daneben soll es konkrete Vereinbarungen bei Luftverkehr, Energie, Fischerei, Verteidigung oder Strafverfolgung geben. Fairer Wettbewerb in der Finanzdienstleistungsbranche ist ebenfalls angedacht.

 

Nächste Meilensteine und Hürden

Die von Premierministerin Theresa May vorgelegte Austrittsvereinbarung wurde von ihrem Kabinett angenommen. Das ist erstaunlich vor dem Hintergrund, dass der Widerstand bei ihren Parteikollegen gegenüber der für die Nordirland-Frage gefundenen Lösung scheinbar immens war. Allerdings traten dann im Nachgang zu dieser Zustimmung sowohl Brexit-Minister Dominic Raab als auch Arbeitsministerin Esther McVey von ihren Ämtern zurück. Beide begründeten ihren Rücktritt damit, dass sie die Vereinbarung nicht mittragen könnten. Das wurde als Auftakt zu weiteren Rücktritten und einer Regierungskrise gewertet, doch bislang sind weitere Rücktritte ausgeblieben. Darüber hinaus drohte Theresa May ein Misstrauensvotum seitens ihrer Fraktion, denn der Widerstand gegen den Kurs der Premierministerin hatte zuletzt immer mehr zugenommen. Für einen Misstrauenantrag wären 48 Stimmen der Tory-Abgeordneten notwendig gewesen. Es waren anscheinend nicht genügend Stimmen vorhanden, denn ein Misstrauensvotum hat bisher nicht stattgefunden.

Für den 25. November war ein neuer EU-Sondergipfel angesetzt worden. Auf diesem haben die EU-Staats- und Regierungschefs über die gefundene Austrittsvereinbarung entschieden und diese letztlich abgenickt. Darüber hinaus muss das Europäische Parlament das Abkommen mit einfacher Mehrheit ratifizieren. Das dürfte wohl nur Formsache sein. Vor allem ist aber die Zustimmung des britischen Parlaments noch notwendig und diese scheint ziemlich kritisch zu sein. Es könnte durchaus sein, dass die Vereinbarung nicht vom Unterhaus angenommen wird. Die Abstimmung darüber ist für den 11. Dezember angesetzt, davor sollen mehrtägige Diskussionsrunden des Parlamentes darüber stattfinden. Nach der Abstimmung des britischen Parlaments könnte die des Europäischen Parlamentes folgen.

Mehrheit im Unterhaus nur hauchdünn

Die Regierungsmehrheit von Konservativen und nordirischen Unionisten (DUP: Democratic Unionist Party) im britischen Unterhaus ist mit einer Stimme nur hauchdünn. Im Unterhaus gibt es insgsamt 649 Sitze (ohne Sprecher), von denen 325 in Regierungshand sind. Da jedoch nicht nur der Sprecher selbst, sondern auch seine drei Stellvertreter sowie die sieben Abgeordneten der Sinn Féin nicht abstimmen dürfen, sind tatsächlich 639 Sitze im Parlament zu kalkulieren. Theresa May benötigt also eine Mehrheit von 320 Stimmen, um die Austrittsvereinbarung durch das Parlament zu bekommen. Es erscheint sehr fraglich, ob sie die harten Brexiteers im Parlament auf ihre Vereinbarung einschwören kann. Die harten Brexiteers sprechen sich für einen klaren Schlussstrich mit der EU aus und wollen weniger Zugeständnisse an die EU machen. Schätzungen zufolge beläuft sich die Zahl der harten Brexiteers auf 80 bis 90. Die DUP (10 Stimmen) will jeder Vereinbarung ihre Zustimmung verweigern, die Nordirland in irgendeiner Art und Weise vom Rest des Vereinigten Königreichs trennt. Damit ist auch ihr Zuspruch zu der Vereinbarung eher unwahrscheinlich. Bekommt Theresa May die Stimmen ihrer Regierungskoalition nicht, müssen Teile der Opposition für sie stimmen. Das erscheint ebenfalls schwierig – zumindest hat Labour angekündigt, nicht für May in die Bresche zu springen. Viele der Labour-Abgeordneten wollen in der EU bleiben und präferieren Neuwahlen und danach ein zweites Referendum, von dem sie sich den Verbleib in der EU erhoffen. Daher kann Theresa May hier nur auf einige Abweichler bei den Abgeordneten hoffen. Das Votum im Parlament kann daher durchaus negativ für May ausfallen.

Theresa May wirbt unbeirrt für das ausgehandelte Abkommen mit den Worten „…dass dieses das einzige mögliche Abkommen sei…“ und scheint es bei der Abstimmung im Unterhaus darauf ankommen lassen zu wollen. Es gibt Gerüchte, wonach die harten Brexiteers dem Abkommen zustimmen könnten, wenn Theresa May ein Datum für ihren Rücktritt benennt. Das lässt Hoffnung aufkommen, dass hinter den Kulissen eifrig verhandelt wird und möglicherweise das Parlament die Vereinbarung doch absegnet – insbesondere wenn das Drohszenario eines ansonsten ungeordnet ablaufenden Brexit genügend Schrecken hervorruft. Grundsätzlich gibt es jedoch eine signifikante Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Austrittsvereinbarung im Parlament durchfällt.

Harter Brexit droht immer noch

Wenn das Parlament der Austrittsvereinbarung nicht zustimmt, dann droht wieder ein ungeordneter Brexit (Hard-Brexit) – obwohl man eigentlich einen Deal ausgehandelt hat. Denn Nachverhandlungen an der Austrittsvereinbarung erscheinen zeitlich zu ambitioniert zu sein, zumal eine neue Vereinbarung wieder die Zustimmung aller Beteiligten benötigt, bevor der Brexit am 29. März 2019 ins Visier rückt. Aber nicht nur der zeitliche Horizont ist schwierig. Die EU dürfte neuen Forderungen der britischen Regierung kritisch gegenüber stehen und ihnen nicht stattgeben wollen. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Austrittsvereinbarung im britischen Parlament nicht ratifiziert wird, ist signifikant. Es muss ein Ruck durch alle Abgeordneten gehen, unter allen Umständen einen ungeordneten Brexit vermeiden zu wollen, damit die Austrittsvereinbarung angenommen wird und der Brexit geordnet ablaufen kann (Soft-Brexit). In unserem Basisszenario rechnen wir damit, dass die Abgeordneten letztlich zähneknirschend ihre Zustimmung geben. Aber das Risiko eines Hard-Brexit ist groß.

Brexit noch abwendbar?

Eine parteiübergreifende Gruppe schottischer Abgeordnete hat ein Verfahren beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) angestoßen, ob das Vereinigte Königreich die EU-Austrittserklärung nach Artikel 50 des Vertrags von Lissabon einseitig rückgängig machen kann. Die Frage des Widerrufs wird in Artikel 50 nicht geklärt, sie wird nicht einmal erwähnt. Die Austrittsvereinbarung kann nach einer Anhörung vor dem Gerichtshof wohl zurückgenommen werden. Die Frage ist allerdings, ob das Vereinigte Königreich das im Alleingang entscheiden kann oder ob die verbleibenden EU-Mitglieder einem solchen Schritt einstimmig zustimmen müssten. Fällt die Austrittsveinbarung im britischen Parlament durch, wäre ein Rücktritt vom Brexit eine Möglichkeit, einen ungeordneten Austritt aus der EU zu vermeiden.

Finanzmärkte rechnen nicht mit hartem Brexit

Ein Blick auf die Entwicklung des Euro gegenüber dem Sterling zeigt, dass die Marktteilnehmer derzeit auf einen geordneten Brexit (Soft-Brexit) setzen. Denn EUR/GBP hat sich in den vergangenen Wochen in einer Range von 0,87 bis gut 0,89 bewegt. Aktuell notiert es bei 0,89. Ein ungeordneter Brexit (Hard-Brexit) geht unseres Erachtens mit deutlich höheren Niveaus von EUR/GBP einher. Sollte das britische Parlament am 11. Dezember gegen den Austrittsvertrag stimmen und damit eine Regierungskrise im Vereinigten Königreich mit einem ungeordenten Brexit drohen, dürfte das Austauschverhältnis deutlich über die wichtige Marke von 0,90 steigen. In unserem Basisszenario gehen wir davon aus, dass ein Hard-Brexit letztlich vermieden werden kann, weil sich das Vereinigte Königreich in einer großen Kraftanstrengung doch zu dem Austrittsabkommen bekennt. Die Unsicherheit darüber, ob letzteres gelingt oder nicht, könnte unseres Erachtens EUR/GBP aber auch in Richtung 0,90 treiben, bevor das Pfund allmählich wieder gegenüber dem Euro aufwerten kann. Doch nicht nur EUR/GBP würde ein ungeordneter Brexit empfindlich treffen. Auch die internationalen Aktien- und Rentenmärkte dürften mit spürbaren Kursverlusten bzw. -gewinnen reagieren. Unter dem Strich bleibt festzuhalten, dass die Finanzmärkte (noch) nicht mit einem ungeordneten Brexit – trotz der dafür bestehenden Risiken ­– rechnen. Zeichnet sich dieser entgegen den Erwartungen ab, ist von massiven Finanzmarktturbulenzen auszugehen.

 


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Quelle

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