30.11.2016 15:58

Alle Jahre wieder: Ausblicke ohne Einblicke

Alle Jahre wieder kommt vor dem Christuskind ein schier endloser Reigen von Rück- und Ausblicken auf die Erde nieder – und auf das Börsenparkett natürlich auch. Der Erkenntniswert ist gering und wenn’s um Dividenden geht, kann der Blick in die Glaskugel sogar böse Folgen haben: Die prominenten Ausfälle dieses Jahres – RWE, Deutsche Bank und Bilfinger – sollten Warnung genug sein, den Schätzungen zu misstrauen.

Alle Jahre wieder kommt vor dem Christuskind ein schier endloser Reigen von Rück- und Ausblicken auf die Erde nieder – und auf das Börsenparkett natürlich auch. Der Klassiker schlechthin ist dabei „Wo sehen Sie den DAX in einem Jahr?“ und nur wer das nicht mit „Im Wald!“ kontert, sondern eine beliebige Zahl zwischen 5.000 und 15.000 ausspuckt, qualifiziert sich für die nächste Runde.

Gold 3.000 oder Außenministerin Wagenknecht?

Dort lauern dann Fragen wie „Welche Themen werden für Anleger im neuen Jahr besonders wichtig?“, die zwei taktische Varianten erlauben. Entweder man käut die Top-Ereignisse des alten Jahres wider – also Ölpreis, Brexit, Trump – und stellt sich auf den Standpunkt, dass diese noch lange nicht erledigt sind und deshalb auch in den nächsten Monaten ganz oben auf der Agenda stehen werden. Oder man kommt mit einer besonders gewagten Prognose um die Ecke.

Gold fällt auf 500 oder steigt auf 3.000 Dollar, Tesla geht pleite oder stößt in vierstellige Kursregionen vor, Frauke Petry wird Kanzlerin oder Sarah Wagenknecht Außenministerin? Höchstwahrscheinlich alles Quatsch, doch danach kräht in einem Jahr kein Hahn mehr. Aber falls man durch irgendeine Laune des Schicksals doch richtig liegt (und sei es auch erst 2020), steigt man auf in den Olymp der (Börsen-)Gurus und darf künftig nicht nur Talkrunden bereichern, sondern auch sich selbst – es locken üppig dotierte Vorträge der Marke „Wie ich den Crash/Boom/Bang weissagte“.

Cool bleiben ist langweilig

Wer hingegen darauf hinweist, dass es für nachhaltiges Vermögensmanagement reichlich egal ist, ob hinter der 20 nun eine 16 oder eine 17 steht, hat schlechte Karten. Cool bleiben und Dividenden kassieren war zwar auch im zu Ende gehenden Jahr wieder eine probate Strategie – aus medialer Sicht aber leider ein bisschen dröge. Wenn schon Dividenden, dann bitteschön ein knackiger Ausblick Marke „Wo 2017 die dicksten Dividenden locken“.

Doch auch dabei müssen wir passen. Denn abgesehen von ein paar Unternehmen mit unterjährigem Geschäftsjahresende (Siemens, Infineon, ThyssenKrupp) oder sehr langfristiger Festlegung (Deutsche Euroshop) liegen für 2017 noch keine Dividendenankündigungen vor. Die DAX-Liga erklärt sich traditionell im Februar/März und in den anderen Indices dauert es oft sogar bis April, bis man Klarheit hat, wer wieviel zahlt.

RWE: Von fünf auf null

Zuvor muss man sich mit Schätzungen behelfen. Wie tückisch das sein kann, zeigt das Beispiel RWE. Vor zwölf Monaten galt es unter Analysten als ausgemachte Sache, dass die Essener dieses Jahr auf jeden Fall 0,50 Euro Dividende zahlen würden. Der Sorgen-Versorger kam damit zeitweise auf eine erwartete Dividendenrendite von über fünf Prozent, was in den meisten Rankings für einen Spitzenplatz reichte – bis zum 17. Februar, als RWE kurzerhand verlauten ließ, dass die Ausschüttung gestrichen wird.

Der vermeintliche Rendite-Renner war über Nacht zum Rohrkrepierer geworden. Kein Einzelfall, denn die Ausfälle bei der Deutschen Bank und Bilfinger hatte ebenfalls kaum einer der Experten auf der Rechnung gehabt. Auch 2017 dürfte es wieder ein paar böse Überraschungen geben, die unser Verdikt über Dividendenschätzungen bestätigen. Rechenspiele, die die Welt nicht braucht. Denn eine Prognose für Wackelkandidaten wie RWE oder E.ON ist Stochern im Nebel, während es bei zuverlässigen Zahlern nicht wirklich eine Rolle spielt, ob man nun auf Nummer sicher geht und mit der 2016 gezahlten Ausschüttung rechnet oder auf eine (vermutlich etwas höhere) Schätzung für 2013 zurückgreift.

Überdies ist eine hohe Dividendenrendite ja noch lange kein Qualitätsmerkmal, sondern allenfalls ein Signal, dass eine Aktie niedrig bewertet sein könnte. Ob ein Einstieg lohnt, lässt sich hingegen erst abschätzen, wenn man auch die anderen drei Ecken des Magischen Vierecks unter die Lupe genommen hat – nämlich Kontinuität, Ausschüttungsquote und Dynamik. Und dafür reichen die Ist-Daten, anhand derer wir Anfang 2017 die neuen DividendenAdel-Auswahllisten erstellen... 

Christian W. Röhl ist Unternehmer, Kapitalmarkt-Stratege – und Investor, der sein eigenes Vermögen verwaltet. Einblicke in seinen Investment-Alltag gibt der Autor des manager magazin-Bestsellers "Cool bleiben und Dividenden kassieren" auf seinem Blog DividendenAdel sowie in Vorträgen und Workshops.

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Christian W. Röhl
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