29.06.2018 08:50
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Meinung weekly: Gewinnen wollen, verlieren können

Entgegen anderslautender Gerüchte wird die Fußball-Weltmeisterschaft in Russland nach dem Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft doch nicht abgebrochen – obwohl es sich für manche so anzufühlen scheint. Immerhin rufen die Medien großräumig Trauer aus. Junge Frauen und Männer mit aufgemalten Deutschlandfahnen im Gesicht, weinen auf Fanfesten und frühere Nationalspieler, die ihr Geld jetzt in Talkrunden verdienen, schwingen sich zu den Scharfrichtern über Mannschaft und Trainer auf.

Klar, das Team hat es tatsächlich geschafft hat, in einer mittelprächtig besetzten Vorrunden-Gruppe als Letzter auszuscheiden. Ein historischer Fehltritt, der Joachim Löw sein Trainerleben lang begleiten wird – wohl mehr als der gewonnene Weltmeistertitel. Woran es gelegen hat: Die Mannschaft war im ersten Spiel zu blasiert und ziemlich erschrocken, dass es die Mexikaner mit Zweikämpfen ernst meinen – klassischer Fall von Erfolgssyndrom. Das zweite Spiel war ein Kampf gegen einen Gegner, der sich in der Qualifikation gegen Holland und im Playoff gegen Italien durchgesetzt hat – wer in Fußball-Deutschland glaubt, gegen Schweden zu gewinnen sei eine Selbstverständlichkeit, hat ein paar Details der vergangenen Jahre schlicht verpasst. Im dritten Match erspielte sich eine verkrampfte Mannschaft – Motto: bitte keine leichten Ballverlusten, aber doch etwas wagen – gegen eine zäh und hart verteidigende Mannschaft eine Vielzahl exzellenter Möglichkeiten. Kopfbälle wie gegen Südkorea versenken die Herren Goretzka, Gomez und Hummels in der Regel reihenweise – außer in diesem vermaledeiten Spiel gegen einen vermeintlichen Fußballzwerg. Wobei das vermeintlich hier wichtig ist: Die These, es gebe keine „kleinen Mannschaften“ mehr, ist mittlerweile Jahrzehnte alt. Sie ist so wahr wie nie zuvor: Zur Erinnerung: Spanien – Marokko: 2:2; Portugal – Iran: 1:1; Brasilien schießt gegen Costa Rica in der Nachspielzeit das 1:0, alles in wichtigen WM-Spielen dieser Tage.

Zwei Viererketten dicht vor dem Strafraum, Abseitsfalle, permanentes Anlaufen – für physisch starke und taktisch gut geschulte Teams ist Verteidigen einfach geworden. Dazu taktische Fouls und Zeitspiel – ein Rezept, das viele Favoriten schlecht aussehen lässt. Zumal auch – viele Deutsche wollen das nicht begreifen – Südkoreaner richtig kicken können. Das zeigen sie in vielen europäischen Ligen. Ihr Bester, Son, gehört zu den stärksten Stürmern in der englischen Premier League, wo er beim Spitzenklub Tottenham spielt.

Was heißt das jetzt? Ja, die deutsche Mannschaft hat anfangs zu sorglos, dann zu zögerlich, schließlich – die historische Pleite vor Augen – verkrampft gespielt. Und immer glücklos. Der Pfosten war nicht ihr Freund. Aus der Pleite in Russland kann man nun vieles schließen. Eine Aufarbeitung der taktischen Fehler – weshalb sind die Räume so offen und teilweise unbesetzt gewesen? – ist zwingend notwendig. Und wieso kann die Mannschaft keine Eckbälle? Aber die von einigen nun gezeigte Häme ist völlig unangebracht. Im Sport – wie im Leben – gilt: gewinnen wollen, verlieren können.

Der größte Fehler wäre, jetzt genau das über den Haufen zu werfen, was die deutsche Mannschaft zu einer der erfolgreichsten der Welt gemacht hat: Spielkontrolle, Kurzpassspiel, hohe technische Qualität, unaufgeregtes Arbeiten. Wenn nun alte Gurus die Frage nach Mentalität, Einsatz und Führungsqualitäten stellen, sind das populistische Äußerungen, die nicht selten dazu dienen, alte Rechnungen mit einem Trainer zu begleichen, der eben diese Spieler nicht aufgestellt hat – und dennoch Weltmeister geworden ist. Ganz ohne Beißer-Qualitäten aus der Rumpel-Fußball-Zeit.


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