14.06.2018 16:25
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Meinung weekly: Weckruf für Merkel

Wie hältst Du es mit Europa? Lange hat Bundeskanzlerin Angela Merkel nach der Wahl gezögert, sich dieser Frage anzunehmen. Erst waren es die gescheiterten Koalitionsverhandlungen, dann der Widerstand in den eigenen Reihen und gleichzeitig das Empfinden einer geringeren Dringlichkeit – die Wirtschaft lief ja ganz ordentlich. Das vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron im Juni 2017 geöffnete Fenster zu einem stärkeren und einigen Europa schloss sich wieder. Doch jetzt sind die Weckrufe – Italiens Wahl und der spektakulär gescheiterte G7-Gipfel – nicht mehr zu überhören. Und es gibt eine zweite Chance. Insbesondere US-Präsident Donald Trump könnte sich als Katalysator für ein Europa erweisen, das eine seiner wirtschaftlichen Kraft angemessene Rolle auf der Weltbühne übernimmt.

Nun mag man fragen, warum die EU annahmegemäß stärker zusammenrücken wird. Dürfte nicht eher das Gegenteil passieren? Nehmen wir das Beispiel der von den USA angedrohten Zölle auf Autos aus der EU, wovon Deutschland am stärksten betroffen wäre. Es fällt auf, dass Macron sich in seiner Ablehnung dieses Vorhabens solidarisch mit Deutschland zeigt, obwohl die hohe Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Automobilindustrie den Franzosen ein Dorn im Auge ist. Ein Grund für die Solidarität ist sicherlich, dass Macron sich im Gegenzug mehr Unterstützung in anderen europäischen Fragen wie etwa einem Investivhaushalt und einem gemeinsamen Finanzminister erwartet. Es gibt aber auch handfeste ökonomische Interessen: Sollten die Zölle Wirklichkeit werden, muss Frankreich verstärkte Konkurrenz von Deutschland fürchten, da VW, Daimler und Co. nach neuen Absatzmöglichkeiten suchen werden. Dem Einwand, dass genau dieser Zusammenhang Europa auseinanderdividieren könnte, ist entgegenzusetzen, dass eine vermutlich überwältigende Mehrheit in Europa an den Prinzipien des Binnenmarktes festhalten will. Auch Italien würde einen derartigen Schritt in Richtung wirtschaftlichen Suizids nicht gehen. Kurz: Den Panzer des freien Handels von Gütern und Kapital innerhalb der EU wird auch die US-Administration nicht knacken.

Außer Solidaritätsbekundungen müssen allerdings auch konkrete Taten folgen. Die Sicherung der EU-Außengrenzen durch eine Aufstockung der Finanzierung der europäischen Grenzschutzbehörde Frontex sowie eine Modernisierung und Vereinheitlichung des Asylrechts sollten ganz oben auf der Agenda stehen. Letzteres sollte das Ziel haben, die Überforderung einzelner Länder mit EU-Außengrenzen – der Erfolg der rechtsradikalen Lega in Italien dürfte auch damit zusammenhängen – zu vermeiden. Für ein Europa, das künftige Krisen besser überstehen soll, ist endlich ein Insolvenzrecht für Staaten und die Risikogewichtung von Staatsanleihen in Bankenportfolios zu vereinbaren – die Mini-Eurokrise in Italien hat den gefährlichen und vermeidbaren Nexus zwischen der Bonität von Staaten und Banken überaus deutlich gemacht. Die Vervollständigung der Banken- und Kapitalmarktunion sind wichtige Maßnahmen, mit deren Hilfe länderspezifische Schocks effektiver abgefedert werden können. Dies würde auch der deutschen Kreditwirtschaft zugute kommen, die durch eine funktionierende Bankenunion mehr Möglichkeiten für EU-Auslandsgeschäft erhielte. Ergänzt werden sollte dieser Mechanismus noch durch einen Stabilitätsfonds, der sich gemäß eines Vorschlags des Internationalen Währungsfonds an der Entwicklung der Arbeitslosigkeit orientiert.

Bundeskanzlerin Merkel hat möglicherweise eine letzte Chance, die EU auf das richtige Gleis zu setzen. Sollte ihr dieses Projekt gelingen, wäre ihr ein Eintrag in die europäischen Geschichtsbücher sicher – ganz gleich, wie lange sie vorher herumlaviert hat.

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